Geschichte unserer Kirche Sankt Familia

Die Kirche Sankt Familia in Kassel: erbaut, zerstört, wiedererbaut

Entstehungsgeschichte der Kirche Sankt Familia

Das geschichtlich Bemerkenswerte an diesem Gotteshaus ist, dass Sankt Familia in Kassel die zweite katholische Kirche seit der Einführung der Reformation in der Landgrafschaft Hessen-Kassel ist. Seit 1908 ist Sankt Familia Pfarrkirche, hervorgegangen aus der St. Elisabeth-Gemeinde. Nach der Zerstörung im 2.Weltkrieg wurde Sankt Familia bis 1953 genau in der ursprünglichen Form wieder aufgebaut.

Der religionsgeschichtliche Hintergrund

Katholisches Leben in Kassel und der gesamten Landgrafschaft Hessen-Kassel existierte nach Einführung des reformierten Glaubens (1526) nicht mehr. Circa 280 Jahre später brachte die Gründung des Königreichs Westphalen (1807–13), zu dem auch die hessischen Territorien gehörten, unter anderem die vollständige Religionsfreiheit für alle Gesellschaftsschichten. Angehörige aller Religionen und Konfessionen durften ihren Glauben frei und öffentlich ausüben.

Im 19. Jahrhundert wuchs die Einwohnerschaft Kassels, auch die katholische, stark an, weil die ehemalige Residenz preußische Provinzhauptstadt wurde, die Industrialisierung im großen Maßstab einsetzte und man den Garnisonstandort vergrößerte. Deshalb wurde die 1777 gebaute Hof- und Schlosskirche Sankt Elisabeth am Friedrichsplatz zu klein. So fiel der stadtplanerische Wunsch von 1866, auf der Anhöhe der Kölnischen Straße nahe dem Bahnhof ein Gotteshaus vorzusehen, 1890 mit der Gelegenheit in eins, dort ein Grundstück zu erwerben. 1899 fand die Weihe des Gotteshauses statt.

Das Patrozinium Sankt Familia war bis dahin nicht üblich und erklärt sich hauptsächlich durch die gesellschaftlichen Verwerfungen infolge des durch die Industrialisierung erlittenen Bedeutungsverlusts der Familie. Der ursprüngliche soziale und wirtschaftliche Verband einer Familie, jedenfalls im ländlichen und kleinbürgerlichen Milieu, hatte sich aufgelöst in eine Gruppe von Arbeitskräften, die mobil und verfügbar sein mussten.

Im kulturpolitischen und geistlichen Sinne bot sich fortan die Kirchengemeinde als Familie an. Seit 1908 ist Sankt Familia Pfarrkirche, hervorgegangen aus der St. Elisabeth-Gemeinde. Nach der Zerstörung im 2.Weltkrieg wurde Sankt Familia bis 1953 genau in der ursprünglichen Form wieder aufgebaut.

Baugeschichte der Kirche Sankt Familia

Das Baugrundstück für die erste katholische Kirche seit 122 Jahren in Kassel war schwierig zugeschnitten: zur Straße schmal, in der Länge nach Süden ausgestreckt. Die Grundstückslage erklärt also die Nordsüd-Ausrichtung des Baus; regelgerecht ist ein christliches Gotteshaus zum Sonnenaufgang orientiert.Trotz der geringen Breite ist die Schaufassade recht stattlich, indem drei Bauteile – Taufkapelle, Haupteingang und Glockenturm – nebeneinander gesetzt wurden.

Die Figurengruppe der Stirnseite veranschaulicht den Weihenamen Sankt Familia. Die Architekten Christoph Hehl und Georg Kegel wählten hinsichtlich des Baustils die verbreitetste Kirchenbautradition des 19. Jahrhunderts. Eine christlich bewährte Epoche Europas, die Romanik mit dem Sakralbautyp Basilika, diente als Gestaltungsvorlage des Äußeren und Innern. Stieg man über die Treppe linkshaltend in die Kirche, betrat man zunächst die Vorhalle, danach die Taufkapelle Sankt Josef. Rechtshaltend ging man – wie noch heute – unterhalb des Porträtkopfs von Bauherrn Pfarrer Stoff am Eingang der Turmhalle in den Gottesdienstraum.

Der Kirchenraum (nach Entwürfen Kegels) war auf den Hochaltar mit Tabernakel unterhalb des gemalten Weltenrichters Christus im Chor orientiert. Der Altarbereich war durch Schranken vom Gemeindeteil abgetrennt. Im Querhaus standen je ein Altar der Hl. Kunigunde (links) bzw. des Hl. Heinrich (rechts), Gründer des Stifts Kaufungen. Der östliche, linke, Pfeiler im Hauptschiff hielt eine Kanzel. Die Fenster zeigten biblische und Motive aus dem Leben der hl. Familie (nach Entwürfen von Hermann Knackfuß). Sämtliche tragenden Bauteile waren vollständig bemalt (Willy Stucke).

Nachkriegssituation

War der Raumeindruck im Originalzustand eher dämmrig-mystisch, so zeichnete die erste Wiederaufbauphase bis 1952 (Johannes Trelle) eine helle und klare Raumwirkung aus: nahezu weiße Wände, keinerlei bildlicher Schmuck und einfache Fensterverglasung.

Die Renovierung der 60er Jahre (Architekturbüro Bieling) des 20. Jahrhunderts folgte den Anregungen der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Altarraum ist nun nicht länger getrennt, sondern durch Fortfall der Kommunionschranken und Vorziehen in den Bereich der Vierung näher an die Gemeinde herangerückt.

Altar,Tabernakel und Ambo (Heinrich Söller) stehen unverhüllt, in einfachen Steinformen und voneinander geschieden. Der Pfarrer zelebriert bzw. sitzt der Gemeinde zugewandt.

Die farbigen Fenster erzeugen in zwei Reihen aufsteigend zunehmend hellere Transparenz der Wände. Nach Aussage der Künstlerin Hildegard Birks veranschaulichen sie in den Seitenschiffen unten das Wort „Laßt Euch als lebendige Steine einbauen in Gottes Reich der Liebe”: oben links die Gaben der kommenden Welt, gegenüber und im sonstigen Raum Symbole von Gottes Herrlichkeit. Die Bücher Genesis, Exodus und Offenbarung der Bibel dienen als thematische Quellen.

Während der Innenraumrenovierung der 80er Jahre (Bieling) gestaltete man die Bögen farbig - ornamental nach originalen Resten und legte die noch vorhandene Chorwandausmalung frei.

Die frühere Taufkapelle St. Josef dient heute als Andachtsraum mit einer Fürbittenwand (Heinrich Klose). Die Bilder (unbekannter Maler) in den Seitenschiffen bezeichnen die Kreuzweg-Stationen. Die Bronzegüsse des modernen Taufbeckens (H. Söller) und der Muttergottesstatue stehen im westlichen und im östlichen Querschiff (H. Söller).