Selbstverständnis der Gemeinde SANKT FAMILIA

Beschlussfassung

Die vorliegende Fassung wurde einstimmig angenommen auf der Sitzung des Pfarrgemeinderates (PGR) der katholischen Kirchengemeinde Sankt Familia am 24. November 2020 und um Absatz 14 erweitert am 14. Juni 2021.

© des Textes: PGR Sankt Familia

I. Geistliche Grundlage

[01] Solange Menschen leben, sind sie auf der Suche: Sie suchen nach sich selbst, nach ihrer Identität, nach dem Sinn in ihren oft verwickelten Lebenswegen. Menschen suchen nach Orientierung und Halt. Sie fragen nach dem Woher und Wohin des eigenen Lebens, des Lebens allgemein und der Welt insgesamt. Menschen suchen nach Gemeinschaft, die zuverlässig trägt, besonders in dunklen und schmerzvollen Stunden.

[02] Menschen suchen nach geistlicher Orientierung; nach Worten, die Nahrung sind für die Seele, nach Zeichen und Gesten, die stärken und zu trösten vermögen, weil in ihnen eine Zusage liegt, die über menschliches Sprechen und Tun hinausgeht.

[03] Menschen suchen nach Gott; nach dem namenlosen Geheimnis, das sie auch in ihrem Glauben nie gänzlich begreifen können, weil es immer nur ein Ahnen gibt von der unvorstellbaren Liebe, die das Evangelium als Gott bekennt. Die Bibel, das Erste und das Zweite Testament, umkreist in immer neuen Bildern, Erzählungen, Gebeten, Gleichnissen dieses Geheimnis, das jeden Glauben am Ende doch übersteigt.

[04] Als christliche Gemeinde, die sich in der katholischen Tradition der einen universalen Kirche verortet, wissen wir, dass wir nicht im Besitz sind von klaren und festen Antworten auf die vielen offenen Fragen der Menschen und unserer Welt. Wir verstehen uns als Glaubende, die miteinander unterwegs sind, ähnlich den Emmaus-Jüngern: unterwegs mit unseren Fragen und Zweifeln, unserem Suchen und Hoffen, mit unserem großen und kleinen Glauben – oder auch mit gar keinem Glauben. Bei aller Verschiedenheit der Menschen, die sich der Gemeinde Sankt Familia zurechnen, sollte dies das einende Band sein: die gemeinsame Ausrichtung auf das Wort der Schrift, das immer wieder neue Suchen und Fragen danach, was die christliche Botschaft für das eigene Leben, für die Gemeinde und die Kirche, für diese Welt bedeutet.

[05] Nach dem Glaubensbekenntnis der Evangelisten ist Jesus mit seinem Leben, seiner Botschaft, mit seinem Sterben und Auferstehen die Liebes-Erklärung Gottes an seine Welt. Wir suchen als und in der Gemeinde immer wieder neu nach glaubwürdigen Wegen, uns an diesem in den Evangelien bezeugten Leben und Handeln Jesu zu orientieren und auszurichten.

II. Gelebte Praxis

[06] Mittelpunkt und Quelle des gemeindlichen Lebens ist die Liebe Gottes zu uns Menschen, die sich in der Feier des Gottesdienstes, der gelebten Nächstenliebe, der Gemeinschaft und der Weitergabe des Glaubens zum Ausdruck bringt.

Grundvollzüge

[07] Unser Gemeindeleben in Sankt Familia konkretisiert sich also in den vier Grundvollzügen, die den Alltag unserer Gemeinde bestimmen:

  • Eine erlebbare und gelebte Gemeinschaft, die die Menschen der Gemeinde auch im Lebensalltag zusammenführt und eine Ahnung davon vermitteln will, dass alle Menschen Gotteskinder sind, die unterschiedslos angenommen sind.
  • Eine lebensnahe Liturgie zum Lobpreis Gottes, die lebendig und einladend und deren Gestaltung Aufgabe der gesamten Gemeinde ist.
  • Die Weitergabe und Reflexion des Glaubens an Suchende, Kinder, Jugendliche und alle, die ein weiteres Wachsen und eine tiefere Durchdringung des Glaubens suchen.
  • In der gelebten Nächstenliebe versuchen wir uns den konkreten Herausforderungen des gelebten Glaubens in unserer Welt zu stellen. Dabei verpflichtet uns die besondere Nähe Jesu zu den Armen zu ebensolcher Nähe.

Gemeindeverständnis

[08] Zu unserem Verständnis von Gemeinde gehört, dass wir uns als offen und einladend für alle Menschen verstehen, gleich welcher Weltanschauung, Religion oder Konfession sie angehören. Christen aller Konfessionen sind eingeladen, in den Gottesdiensten auch die Mahlgemeinschaft zu leben.

Gemeindezugehörigkeit

[09] Die Gemeindezugehörigkeit ergibt sich bei uns nicht zunächst aus der Wohnadresse. Die weitaus meisten Gemeindemitglieder wohnen z. Zt. weit verstreut in Stadt und Landkreis von Kassel. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde ist unabhängig vom Wohnort. Wer sich Sankt Familia zurechnet, kann unabhängig von seinem Wohnort voll und ganz Anteil nehmen an allen Aktivitäten der Gemeinde und auch in den Gremien der Gemeinde mitentscheiden.

Gemeindestruktur

[10] Die Gemeindestruktur von Sankt Familia ist in der Geschäftsordnung des Pfarrgemeinderates vom 12. Dezember 2017 festgelegt. Wir üben uns in einem pastoralen Leitungsmodell, das auf den vier Grundvollzügen von Kirche und einer lebendigen katholischen Gemeinde aufbaut (Gemeinschaft, Liturgie, Weitergabe des Glaubens, Nächstenliebe) Jeder dieser Grundvollzüge wird durch eine/n Beauftragte verantwortet, die ihn lebendig hält, fördert und die Aktivitäten in diesem Bereich koordiniert. Es ist ein Team-Leitungsmodell, in dem Hauptamtliche (Pfarrer, Gemeindereferentin) und Ehrenamtliche (gewählte Gremien, Beauftragte) gemeinsam auf Augenhöhe den Leitungsdienst ausüben.

Selbstverpflichtung

[11] Die Gemeinde hat in ihrer Abstimmung (Wahl vom 7. März bis 2. April 2018) eine Selbstverpflichtungserklärung zum Ausdruck gebracht, dass sie die Entscheidungen des verantwortlichen Leitungsteams respektiert. Dieser Selbstverpflichtung haben auch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugestimmt, und es wird erwartet, dass auch zukünftige hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem zustimmen.

Hauptamtliche

[12] Die primäre Aufgabe des Pfarrers ist es, Seelsorger und Spiritual der Gemeinde zu sein, die Sakramente zu feiern und die Ehrenamtlichen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Die Gemeindereferentin koordiniert und unterstützt die vielfältigen Aktivitäten der Gemeinde, insbesondere die Arbeit der Ehrenamtlichen. Beiden Hauptamtlichen (Pfarrer, Gemeindereferentin) kommt die Aufgabe zu, die Charismen der Menschen wahrzunehmen und sie zu ermutigen, sie in der Gemeinschaft fruchtbar werden zu lassen.

Gottesdienst

[13] Zentraler Begegnungsort des gemeindlichen Lebens ist der sonntägliche Gottesdienst: Menschen kommen zusammen, um sich im Hören auf das Wort Gottes neu auszurichten, um das Lob Gottes zum Ausdruck zu bringen, um Gemeinschaft und geistliche Stärkung zu erleben.
Der Gottesdienst wird in drei Formen gefeiert: Als Eucharistiefeier, als Wort-Gottes-Feier und als Wortgottesdienst mit Kommunionfeier.
Die Wort-Gottes-Feiern und die Wortgottesdienste mit Kommunionfeier werden von Mitgliedern unserer Gemeinde geleitet. Dadurch soll deutlich werden, dass es Aufgabe aller Menschen der Gemeinde ist, das Wort Gottes zu bezeugen und die Verantwortung für die Feier des Gottesdienstes gemeinsam zu tragen.
Ein besonderes Anliegen ist uns, Familien mit Kindern anzusprechen. Dazu sind regelmäßige Familiengottesdienste, Kindergottesdienste, Gemeindewochenenden, Kinder- und Jugendfreizeiten und andere Angebote unverzichtbare Elemente.

Gesellschaft und Politik

[14] Die Gemeinde versteht sich als Teil der Gesellschaft und diskutiert auch aktuelle gesellschaftliche und politische Themen und Ereignisse. Wir orientieren uns dabei am Geist des Evangeliums und streben nach einem Wachsen von universaler Gerechtigkeit.

Gleichberechtigung

[15] Zu unserem Gemeindeverständnis gehört, dass alle Menschen gleichberechtigt sind. Dementsprechend setzen wir uns für Reformen in der Kirche ein, wo Gleichberechtigung bisher nicht umgesetzt ist. Wir stehen für eine volle Teilhabe von Frauen am Amt, auch als Priesterinnen. Menschen, die in der katholischen Kirche die Erfahrung von Benachteiligung und Ausgrenzung machen – wie zum Beispiel wiederverheiratete Geschiedene und Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben – sind volle und gleichberechtigte Mitglieder unserer Gemeinde.

Hilfe für Geflüchtete

[16] Wir setzen uns seit langem für Menschen ein, die aus verschiedensten Gründen ihre Heimat verlassen mussten. Konsequenz dieser Haltung ist, dass wir immer wieder Menschen in besonderen Härtefällen Kirchenasyl gewähren.

Hilfe für Geflüchtete

[17] Für die Sankt Familia-Gemeinde sind Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit mit dem Evangelium nicht vereinbar.

Alle sind eingeladen

[18] Wir freuen uns über jeden und jede, die sich in Sankt Familia eingeladen fühlen – zum Suchen und Fragen, zum Vorbeischauen und genau Hinsehen, zum Mitdenken und Mitfühlen, zum Mitwirken und Mitgestalten, zum Mitreden und Mit-stille-sein, zum Beten und Bleiben oder auch zum Beten und wieder Weiterziehen.
Die Menschen der Gemeinde Sankt Familia sind alle verschieden – in ihren Lebenswegen, in ihren Glaubenswegen, in ihren Hoffnungen und Zweifeln – und das ist gut so, weil in den Unterschieden aller die Würde jeder und jedes Einzelnen liegt.
Was eint uns in allen Unterschieden? Immer wieder dies: Wir nennen den Namen Gottes in unseren Gebeten. Wir wissen nicht so genau, was wir damit sagen. Aber das Eine wissen wir: Dass wir mit diesem Namen aufs Ganze gehen; dass wir mit diesem Namen „die große Unbescheidenheit lernen, die mit nicht weniger zufrieden ist als mit der Freiheit der Besessenen, dem Augenlicht der Blinden, der Sprache für die Verstummten und dem Leben für die Toten”.

(Fulbert Steffensky, Gewagter Glaube. Stuttgart 2012, S. 123)

 

Anmerkung: Von der Mitverantwortung zur Verantwortung

Die Entwicklung des "Selbstverständnisses" gehört zum Prozess "Von der Mitverantwortung zur Verantwortung", den der Pfarrgemeinderat 2013 startete:

Die Gemeinde Sankt Familia versteht die Fragen und Veränderungen unserer Zeit nicht nur als Krise, sondern ebenso als Zeit, gemeinsam in die Zukunft zu gehen und in der Gestaltung des Gemeindelebens neue Ideen auszuprobieren.

Teil des Prozesses war die Festlegung einer „Geschäftsordnung“ für das "Leitungsteam" und die Beauftragten: